
Heute begehen wir den 31. Jahrestag der Wiedervereinigung von West- und Ostdeutschland. Bereits zwei Generationen von Deutschen haben die Teilung unseres Landes nicht mehr erlebt und können es sich nicht vorstellen, auf einer Reise von Berlin nach Köln eine schwer bewachte innerdeutsche Grenze zu überqueren.
Wenn wir die aktuelle Situation im Land betrachten, muß man sich die Fragen stellen: Gibt es noch etwas zu feiern? Von welcher Einheit reden wir eigentlich? Jeder, der die Wende miterlebt hat, denkt an Bilder von Menschen, die glückselig dem sozialistischen Käfig entronnen sind. Fremde, die sich in den Armen lagen, ungläubiges Staunen und Tränen der Erleichterung über die neu gewonnene Freiheit.
Es war ein Kanzler der CDU, Helmut Kohl, der das fast unmögliche möglich gemacht hatte: Die unnatürliche Trennung eines Volkes durch Zäune und Stacheldrähte beenden. Die versprochenen blühenden Landschaften haben sich teils realisiert, der inakzeptable Zustand, dass es noch heute Unterschiede bei Löhnen, Renten und anderen Themen gibt, besteht jedoch nach wie vor. Die Zeit wird es richten – so meinte man – die nächsten Generationen werden die Unterschiede zwischen den Mentalitäten verwischen, nach 30 Jahren sind die Deutschen wirklich wieder „ein Volk“.
Verwendete Helmut Kohl einen nicht unbeträchtlichen Teil seiner 16-jährigen Amtszeit auf das Projekt „Einig Deutschland“ scheint es fast wie eine grausame Ironie, dass ausgerechnet „sein Mädchen“, die nun endlich scheidende CDU Kanzlerin Merkel ihre genauso lange dauernde Regierungsverantwortung dafür genutzt hat, den Keil zwischen „Ossis und Wessis“ tiefer denn je zu treiben. Sekundiert von willigen Parteifunktionären und einer unterstützenden Presse hat man den Ex-DDR-ler längst zum undankbaren „Charity Child“ abgestempelt. Was hat man nicht alles finanziell möglich gemacht. Statt sich in eine devot-dankbare Haltung zu begeben und die Weisheit der merkelschen Politik zu preisen, erlaubt sich der Pöbel doch tatsächlich eine eigene Meinung, die im Ernstfall auch schonmal rückabgewickelt wird.
Mit der Wiedervereinigung erlebten wir ein Experiment ungeahnten Ausmaßes. Man warf zwei völlig unterschiedlich sozialisierte Bevölkerungsgruppen in einen Topf und kümmerte sich in den Folgejahren relativ wenig um die daraus folgenden Verwerfungen. Fühlte sich die Gruppe der Westdeutschen als ob sie mit ihrem Wohlstand nun die armen Verwandten aus dem Osten durchfüttern müssten, erlebten die Ostdeutschen die Wende als feindliche Übernahme ihrer Lebensleistung. Das Stigma der leicht zurückgebliebenen Minderleister klebte an ihnen und das tut es bis heute. Statt sich mit der Mentalität der Menschen zu befassen, statt des Versuchs sie zu verstehen und eine gemeinsame Sprache zu finden, erwartete man von ihnen etwas, was man sonst von niemandem in diesem Land gefordert hatte: passe Dich an, denke wie wir, sei dankbar!
Mit dieser Politik der Ignoranz erreichte Kanzlerin Merkel, dass die Grenze, die physisch schon lange nicht mehr existiert, in den Köpfen und in den Herzen der Menschen heute trennender ist, als es Mauern je waren. Das Paradoxon, dass sie Verhältnisse in Deutschland erschaffen hat, die denen in der ehemaligen DDR gar nicht mehr so unähnlich sind, scheint zumindest im Westen niemand bemerken zu wollen. Die mutigen Menschen, die damals mit ihrem konsequenten Handeln das Ende des sozialistischen Regimes eingeläutet haben, wollten nur eines – Freiheit! Meinungsfreiheit. Reisefreiheit. Bildungsfreiheit. Wen wundert es, dass gerade diese Leute hochsensibel reagieren, wenn im durchgegenderten Merkeldeutschland die Freiheit der Meinung davon abhängt, ob man das – wie es so schön heißt – soziale Echo aushält? Längst ist es möglich, für die falsche Meinung seine Reputation, die Mitgliedschaft im Verein oder sogar seine Arbeit zu verlieren. Längst wird wieder in der Schule die „richtige Meinung“ gelehrt, der Beutelsbacher Konsenz ist längst zur leeren Hülle verkommen, die Presseberichte erinnern nicht selten an die Lobeshymnen auf ein Politbüro.
Wer noch einen Beweis für die Trennlinie innerhalb unseres Landes benötigt, schaue sich die Wahlergebnisse zur Bundestagswahl an. Der Osten wählt „blau“. Bitterböse könnte man sagen, die AfD ist das Vermächtnis der Angela Merkel. Sie hat diese Partei erst notwendig und möglich gemacht. Daran ändert auch nichts, dass die innerparteiliche Entwicklung der AfD dafür gesorgt hat, dass diese Partei schon längst keine Alternative für Deutschland mehr ist. Trotzdem ist sie da. Wer heute der Klima-, Corona-, Flüchtlings- oder Genderpolitik eine klare Absage erteilen möchte, sieht offenbar je nach Verzweiflungsgrad nur die Möglichkeit, gar nicht oder extrem zu wählen. Dass Menschen – gerade in den „neuen Bundesländern“ – sich mit aller Kraft dagegen wehren, in etwas abzugleiten, das sie als DDR 2.0 empfinden, macht sie aber weder zu Nazis noch zu Idioten. Ihre Ängste und Verzweiflung müsste man wahrnehmen und darauf eingehen – stattdessen stigmatisiert und verurteilt man sie.
Ich wünsche unserem Deutschland zu seinem heutigen Feiertag Kraft, um all die Dinge zu überstehen, die in den nächsten Jahren auf uns zukommen. Es braucht Mut, Sachverhalte anzupacken und zu lösen, die völlig in die falsche Richtung gelaufen sind. Es braucht Herz, um endlich wieder in unseren Mitmenschen Freunde, Nachbarn und Bekannte zu sehen. Es braucht Güte, um Fehler zu verzeihen. Es braucht Toleranz, endlich anzuerkennen, dass eine andere Meinung nur eine andere Meinung ist.
Wir sind ein Volk. Es gibt kein helles und kein dunkles Deutschland. Wir sind weder Klimaleugner, noch Greta-Jünger. Wir sind keine Systemlinge oder Covidioten. Wir sind weder linkes Pack noch Nazis. Wir sind Deutsche. Wir müssen miteinander sprechen. Wir müssen aufeinander zugehen. Die Herausforderungen der Zukunft lösen wir nur gemeinsam. Wir alle!